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Lese-Tipp im April 2025

Markus Köhle: Land der Zäune. Sonderzahl 2025

Achtung, das ist eine Warnung: dieses Buch wird Sie grantig machen. Der Protagonist Hans Sagmeister wird Sie nach anfänglich höflichem Interesse Ihrerseits früher oder später (je nach Ihrem Toleranzlevel) dazu bringen, die Augen zu rollen, die Zähne zu knirschen und den Kopf zu schütteln.  Er wird Ihnen mit seiner Affinität zu Zäunen, zu Absperrungen, Grenzziehungen und zum Verbalstopp „Nein!“ auf die Nerven gehen, wird Sie mit seinen imaginierten (Wut-)Tiraden zur Weißglut bringen und wird Ihnen mit seinem ambitionierten Vorhaben, eine eigene Partei für Gleichgesinnte zu gründen, ein abfälliges Schnauben nach dem anderen entlocken. Und hoffentlich sind keine Katzenliebhaber*innen unter Ihnen, sonst landet die Lektüre ab Seite 52 mit einem gezielten Handkantenschlag womöglich in der nächsten Ecke Ihres Lesezimmers.

Aber so schlimm wird es doch schon nicht werden, denken sich nun vielleicht einige von Ihnen. Es gibt ja auch noch andere Figuren im Roman; da wird doch wer gegenhalten! Nun, die Nebenfiguren machen das Kraut an Sympathieträger*innen und innerliterarischem Anknüpfungspotential auch nicht fett. Nicht der Neo-Nachbar Marlon mit seiner verduselten Liebe zu seinen beiden Stubentigern und zum Sprachspiel mit Fremdschämpotential, nicht die Entsorgerin, die als Mischwesen aus Therapeutin und Chat-Bot den Grillen Hans Sagmeisters eine geduldige Bühne bietet und ganz bestimmt nicht Romähn, der Mähroboter. Am ehesten vielleicht noch Hans‘ Mutter, die den Sohn durch verbale Boshaftigkeiten schikaniert und strenggenommen wahrscheinlich eine der Hauptverantwortlichen für die Zaunbegeisterung des Sohnes Hans Sargmeister ist.


Warum also solle man sich die Lektüre dann überhaupt zumuten? Nicht, um den eignen Blutdruck zu befördern. Aber vielleicht, um das Psychogramm eines Menschen vorgezeichnet zu bekommen, der sich aus der Exklusivität der Stammtisch-Polterer herausgeschält hat und nun durch die auktoriale Erzählstimme vor unseren Augen zerlegt wird: durch den Import und Verkauf kurzlebiger Trendprodukte zu Wohlstand gelangt, bezieht Hans Sagmeister in Unterbrombachkirchen ein Haus in einem stereotypen ruralen Niederösterreichischem Kaff und versucht von dort aus, seine Weltordnung, in der alles geregelt, strukturiert und vor allem in klaren Grenzen verläuft, zur allgemeinen Anwendung zu bringen. Das Mittel zum Zweck: der Zaun.


Ich habe meine Leitlinie gefunden. Es war der vermeintlich christliche Kanzler, der mich auf die Idee mit dem Zaun brachte. Der Kanzler sprach davon, dass Zäune und Mauern kein Tabu mehr sein dürften. Tabus sollte es überhaupt keine mehr geben im 21. Jahrhundert. Es muss alles geben dürfen, selbstverständlich auch Zäune und Mauern. Mein Zaun gibt mir Halt und Einhalt. Mit Menschen habe ich gewisse Probleme. Mein Zaun macht keine Probleme. Mein Zaun löst Probleme. Ich kann meinen Zaun nur in den höchsten Tönen loben. Ich kann dir auch Zaun sein, antwortete die Entsorgerin. Das gefiel Hans natürlich. Das brachte sie ihm deutlich näher. S. 31


Das Eigene und das Fremde solcherart klar von einander abtrennend und Sicherheit, Stabilität und Beständigkeit im Ausschluss der Anderen zu findend, möchte Hans Sagmeister von Unterbrombachkirchen aus mit seiner neu gegründeten Partei, der ZPÖ (Zaun-Partei-Österreich) als selbsternannter Zaunkönig und Zaunkanzler ins Parlament einziehe. Das Programm: Sicherheit schaffen!


Denn das Bild „alte Gräben zuschütten“ muss endlich die positive Färbung verlieren. Wenn offensichtlich ein Spalt durch die Gesellschaft geht und wir das auch anerkennen, können wir diesen Spalt entweder untergraben oder schön ordentlich mit Zäunen und Mauern absichern. Hans hat nichts dagegen, alte Gräben zuzuschütten und neue, zeitgenmäße, besser befestigte aufzumachen. (S. 181.)


So abgedreht sich dieser Hans Sagmeister auch in seine Zaunfantasien versteigt, über Poller und Vollpfosten in Lobenshymnen ausbricht und seine Zukunftsvisionen als Zaunkanzler der Nation ausbuchstabiert, so fabelhaft gelingt Markus Köhle in seinem Roman ein in vielen Aspekten gruselig aktueller Gesellschaftsblick. Es ist die (überzeichnete?) Rhetorik einiger politischer Zeitgenoss*innen, die hier geradezu beklemmend eindrücklich in Hans Sagmeister zusammensiedet, es ist der Zeitgeist der Grenzabsicherung, Abgrenzung und Aufrüstung gegen "die Anderen", die "Land der Zäune" zu einem wichtigen Gegenwartsprotokoll machen. So ist der Roman ein Warnschuss, der uns Leser*innen mit einer Frage im Kopf den Blick in unsere Umgebung schweifen lässt: wer würde hier wohl Hans Sagmeisters Zaunpartei wählen?


Wir sind die ZPÖ! Was vor unserer Haustür passiert, interessiert uns nur, wenn es unsere Freiheit einschränkt. Einschränken lassen wir uns von niemanden. Das machen wir schon selbst. (S. 193)  

iris gassenbauer

 

 


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