Literarische Kurse
Fernkurs-Tipps

Hier finden Sie vom Team der Literarischen Kurse zusammengestellte Informationen und Hinweise rund um den aktuellen Fernkurs »nachLESEN«:


Lese-Tipp im September 2023

Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. (Hg.): Ihr habt da was vergessen … Frauengeschichte sichtbar machen.
Leipzig 2022.

Frauen haben schon immer die Gesellschaft geprägt […] und […] Spuren in der Geschichte hinterlassen […] – wir müssen sie nur von dem Staub der Unterdrückung befreien und anfangen, von ihnen zu erzählen.

Von vergessenen – oder besser: aus der Erinnerung und Geschichts-
schreibung (bewusst oder unbewusst) ausgesparten – Frauen, die im 19. und 20. Jahrhundert das Leben in Leipzig und Sachsen geprägt haben, erzählt jenes Leseheft, das im vergangenen Jahr von der
>>> Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V.
herausgegeben wurde. Produziert wurde das Heft vom >>> fem/pulse-Team der in Leipzig ansässigen Gesellschaft, das es sich zum Ziel gesetzt hat, in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen feministische Impulse zu setzen, indem es sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen* [1] – heute sowie in der Geschichte – einsetzt. Auf 46 äußerst lesenswerten Seiten werden in dem auch optisch sehr ansprechend gestalteten Heft elf Frauen vorgestellt, die sich im Laufe der vergangenen 200 Jahre in Leipzig (und darüber hinaus) für gesellschaftliche Veränderungen und die Gleichberechtigung von Frauen* eingesetzt haben und die in unserer – männlichen geprägten – öffentlichen Erinnerungskultur oft nicht oder zu wenig beachtet werden.

Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, Sportlerinnen und Aktivistinnen, Arbeiterinnen und Wissenschaftlerinnen – die in dem Leseheft porträtierten Frauen haben vielfältige Leben gelebt und sich in vielfachen Bereichen (von Arbeit und Sport über Körper und Sexualität bis hin zu Kunst und Politik) für Frauenrechte und Emanzipation engagiert. So etwa die Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin und Frauenpolitikerin, die der Gesellschaft ihren Namen gab: Tatsächlich ist das Wirken von Louise Otto-Peters so vielseitig, dass es kaum in ein paar Sätzen zusammengefasst werden kann. 1849 – in einer Zeit, in der es Frauen verboten wurde, Zeitungen herauszubringen – gründete sie etwa eine »Frauen-Zeitung«, in der sie schon früh das Grundsatzprogramm der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung ausformulierte. Weitere der im Heft vorgestellten Frauen sind etwa die Autorinnen Auguste Schmidt und Elsa Asenijeff, die Künstlerinnen Käthe Kollwitz und Gerda Taro, die Widerstandskämpferin Maria Grollmuss, die Juristin Elsa Hermann oder die Ärztin und Sexualwissenschaftlerin Lykke Aresin.

Jeder Frau wird dabei eine Doppelseite gewidmet, auf der zentrale Informationen zur Person zusammengefasst werden und Beispiele aus ihren jeweiligen Arbeiten präsentiert werden. Oftmals handelt es sich dabei um Textausschnitte aus politischen Reden, wissenschaftlichen Beiträgen oder literarischen Publikationen; an anderer Stelle wiederum sind es Fotografien, Gemälde oder Plakate, die Einblick in das Schaffen der – stets auch fotografisch ins Bild gesetzten – Frauen geben. Ergänzt werden diese kurzweiligen Vorstellungen durch Anregungen zur weiteren Auseinandersetzung mit den Porträtierten und ihren jeweiligen gesellschaftspolitischen Kontexten. Diese beinhalten nicht nur konkrete Fragen, Denkimpulse und Ideen für Arbeitsaufträge, sondern stellen auch Hinweise zu weiterführenden Quellen bereit – was das Heft zu einem idealen Arbeitsmaterial für Schule und Bildung macht.

Es ist eine differenzierte gesellschafts- ebenso wie selbstkritische Perspektive, die die Verfasserinnen Pina Bock, Nane Pleger und Katharina Wolf in ihrem Leseheft einnehmen. Dabei zeigen sie nicht nur, wie ein eindimensionaler Blick auf [Geschichte und] Geschichtsschreibung die Sicht auf das Schaffen und die Kämpfe vieler Frauen* oftmals einschränkt oder gar versperrt, sondern schreiben auch gemeinsam gegen das Vergessen und gegen das »Ent_Innern« [2] dieser Frauen und ihrer Geschichten an. Dies tun sie aus einer bewusst gesetzten intersektionalen Perspektive, die das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen wie Sexismus, Klassismus, Queerfeindlichkeit und Rassismus berücksichtigt. Für manche sperrig klingende Konzepte wie »Intersektionalität« werden dabei ebenso anschaulich wie praxisorientiert erläutert und konsequent in die Darstellungen integriert. So geht das Heft etwa auch auf die Unterschiede in den Kämpfen und Anliegen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung ein – und zeigt auf, dass die in der Leipziger Arbeiter*innenbewegung engagierte Clara Zetkin mit ihrer Beschreibung der doppelten Unfreiheit der Proletarierin schon früh – ja, tatsächlich avant le lettre – Konzepte wie Intersektionalität gedacht und gelebt hat.

Dem Umstand, dass Frauen* oft doppelt (und mehrfach) benachteiligt werden und daher auch oft aus der Erinnerung doppelt [und mehrfach] heraus[fallen], tragen die Verfasserinnen aber nicht nur in den von ihnen vorgestellten Frauenporträts Rechnung, sondern auch wenn sie am Ende des Heftes die nach wie vor bestehenden blinden Flecken in unserer Erinnerung sichtbar machen. Die letzte Doppelseite wird leer gelassen – und spiegelt so die weißen Leerstellen des kollektiven Gedächtnisses wieder: Während etwa Schwarze Frauen das gesellschaftliche Leben im 19. und 20. Jahrhundert sicherlich mitgeprägt haben, wissen wir nach wie vor zu wenig über die Geschichte nicht-weißer Frauen* in Leipzig (sowie aus vielen anderen Regionen Deutschlands, Österreichs oder der Schweiz). Daher werden an dieser Stelle auch die Leser*innen des Hefts dazu eingeladen, ihr eigenes Wissen in den Dialog einzubringen, sich einzumischen, bestehende Leerstellen mithilfe von geteiltem Wissen zu schließen – und so gemeinsam die Geschichten von Frauen* weiterzuerzählen.

Es gibt also noch viel zu tun UND es ist schon so viel passiert.

Lasst uns (weiter) darüber sprechen.

Claudia Sackl


Das Leseheft »Ihr habt da was vergessen … Frauengeschichte sichtbar machen« (2022) ist kostenlos auf der Homepage der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft als >>> Download verfügbar oder gegen eine Postversandgebühr auch in gedruckter Ausgabe erhältlich.

Detaillierte Informationen finden Sie hier: www.louiseottopeters-gesellschaft.de/leseheft-fempulse.


Fußnoten:

[1] Die Schreibung von Frauen* mit Sternchen wird dazu genutzt, um auch nicht-cis-Frauen – etwa transsexuelle, Transgender- oder nicht-binäre Personen, die sich als Frau* identifizieren – im Begriff »Frau*« miteinzuschließen.

[2] Mit dem Konzept des »Ent_Innerns« beschreibt der Berliner Kultur- und Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha eine reproduktive Erinnerungshandlung, die gewisse Geschichte(n) – meist jene marginalisierter Gruppen – verschweigt und enthistorisiert, während sie die Darstellung von Geschichte(n) aus der Perspektive der Herrschaftsgruppe normalisiert.
Vgl. Kien Nghi Ha: Macht(T)raum(a) Berlin – Deutschland als Kolonialgesellschaft. In: Maureen Maisha Eggers / Grada Kilomba / Peggy Piesche / Susan Arndt (Hg.): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast 2005, S. 105-117.

 



www.louiseottopeters-gesellschaft.de

 


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Veranstaltungs-Tipp im September 2023

Werkstattgespräch mit Antje Wagner

Am 23. September 2023 ist die deutsche Schriftstellerin und Leseheftautorin im Fernkurs für Literatur »hinausLESEN« (2021–2022) Antje Wagner in der STUBE zu Gast:

Mit Heidi Lexe wird sie über ihr literarisches Schreiben sprechen und aus ihren Büchern lesen und performen.

Im Anschluss wird zu Wein und Wiener Naschmarkt-Buffet eingeladen.

Sa, 23. September 2023, 18:30 Uhr

Seminarraum
Stephansplatz 3, 2. Stock
A-1010 Wien

Weitere Informationen finden Sie >>> hier

 


Foto: Carina Nitsche

 

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